Anderssein als Thema in der Kinder- und Jugendhilfe

Zusammenhalt stärken, Anderssein erlauben, Stigmatisierung vermeiden: Wo in einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe junge Menschen verschiedenster Prägung und Kulturen aufeinandertreffen, ist das Thema „Anderssein“ allgegenwärtig. Stefanie Muus betreut die heilpädagogisch therapeutischen Wohngruppen von Regenbogen Wohnen in Neuburg an der Donau und berichtet aus dem täglichen Umgang mit diesen Themen.

Liebe Frau Muus, danke für Ihre Bereitschaft, uns ein paar Einblicke in die aktuelle Arbeit zu geben. Sie widmen sich ja gerade einem „heißen“ Thema in ihrer Einrichtung: Umgang mit Rechtsextremismus, Reichsbürger- und Verschwörungsideologien. Wie kam es dazu?

Anlässlich der Bezirkstags- und Landtagswahl im Oktober kam bei den Jugendlichen die Frage auf, was sie wählen können und sollen und welche Partei für welche Inhalte steht. Dabei war auch die AfD und ihr Wahlprogramm Thema.

Inwiefern kommen Sie und die Kinder und Jugendlichen in der Einrichtung in Kontakt mit den Themen Rechtsextremismus, Reichsbürger- und Verschwörungsideologien?

Rechtsextremismus ist immer wieder für die geflüchteten Kinder und Jugendlichen hier im Haus ein Thema. Gerade in der Schule treffen sie auf Gleichaltrige, die sie vorverurteilen und aufgrund ihrer Herkunft ausschließen oder stigmatisieren.

In der Einrichtung erleben wir immer wieder, dass Kinder und Jugendliche auch aus dem Elternhaus sehr geprägt werden und dort z. B. gegen spezielle Kulturen Vorurteile mitbringen und von uns erstmal mit aufgearbeitet werden. Hier organisieren wir dann sehr individuell zugeschnittene Projekte – zum Beispiel die Auseinandersetzung mit verschiedenen Kulturen, Religionen auf unterschiedlichen Ebenen, landestypisches Essen, Sprache oder kulturtypische Sportarten.

Immer wieder stellt sich hier heraus, dass sich Interessen der Kinder und Jugendlichen auf „fremde Kulturen“ lenken und daraus sogar Hobbies generieren. So haben wir z.B. zwei Jugendliche, die sich eine Zeitlang intensiv mit Stock- und Schwertkampf auseinandergesetzt haben und sich einer der Jugendlichen im örtlichen Karateverein angemeldet hat.

Gibt es Anlässe, an denen Sie sich im Team zu solchen Herausforderungen austauschen?

Wenn sich Dynamiken innerhalb der Gruppen bilden, ist dies immer auch Thema fürs Team. So gilt es dann, sich abzustimmen, wie das weitere Vorgehen ist, welches Projekt passend wäre, oder ob es gar nicht so sehr im Gruppensetting thematisiert wird, sondern vielleicht eher eine Einzelarbeit mit dem Kind / Jugendlichen angemessen wäre.

Wie sieht es aktuell konkret in der Wohngruppe aus, sprechen Sie das Thema aktiv an? Ist das ein Thema für die Jugendlichen? Wie gehen Sie damit um?

Meist bringen die Jugendlichen solche Themen ein, welche wir dann aufnehmen und daran arbeiten. So ist das Interesse weit größer, als wenn wir das Thema vorgeben.

Durch die unterschiedlichen Kanäle (Essen, Sprache, Realität von geflüchteten Jugendlichen bei uns und deren Vergangenheit), passiert es allerdings nahezu täglich, dass wir uns mit dem Thema Rassismus, Anderssein und Radikalisierung auseinandersetzen.

Was sind Ihrer Meinung nach die besonderen Herausforderungen in einer Wohngruppe beim Thema Gesinnung/Ideologien etc.?

Herausfordernd ist, die unterschiedlichen Herkünfte der Kinder und Jugendlichen alle unter einen Hut zu bekommen. Sind Jugendliche bereits sehr durch ihr Elternhaus geprägt, gilt es, mit viel Feingefühl auf die Diskrepanzen zwischen Wahrnehmung der Eltern und unserer Haltung einzugehen. So, dass die Jugendlichen nicht in einen Loyalitätskonflikt kommen und auch wir das Vertrauen der Eltern nicht verlieren.

Immer wieder befinden wir uns hier in einem Spannungsfeld, welches gut austariert werden muss. Klar ist dabei auch, dass wir jederzeit unsere Haltung transparent machen, andere aber nicht für ihre Haltung zu verurteilen, sondern eher versuchen, Verständnis füreinander zu schaffen.

Wie begegnen Sie diesen besonderen Herausforderungen?

Verständnis füreinander schaffen, Aufklärung durch Fakten, ohne zu belehren und dabei Raum für das eigene Meinungsbild zu geben.

Infomaterial zum Thema

Der Verband „Der Paritätische“ hat kürzliche eine Broschüre zum Umgang mit Rechtsextremismus, Reichsbürger- und
Verschwörungsideologien herausgegeben, die auch unsere Arbeit unterstützt hat.

Sie beinhaltet Handlungsempfehlungen für den Umgang mit den Kindern und Jugendlichen, aber auch mit Eltern und behandelt die Frage, wie und auf welche Weise diese Themen aufgegriffen und als Chance zum Gespräch genutzt werden können.

Die Broschüre steht hier zum Download bereit.

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