Blickt auf 25 Jahre Regenbogen Wohnen zurück – und ein bisschen voraus: Maria Thomaser

Maria Thomaser

Prokuristin, Leitung Fachdienst und Qualitätsmanagement.

Nach 25 Jahren bei Regenbogen Wohnen und 47 Berufsjahren im sozialen Bereich hat sie sich nun in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedet.

Wir haben sie gefragt, auf welche Ergebnisse und Entwicklungen sie zurückblickt, was ihre Tipps für junge Kolleg:innen sind und was sie sich für Menschen mit psychischer Behinderung noch wünscht.

Liebe Frau Thomaser, vielen Dank, dass ich Sie sich an Ihrem letzten Arbeitstag die Zeit nehmen, uns ein paar Fragten zu beantworten!
Zu Beginn gleich mal die Frage nach der Zeit, auf die sie zurückblicken: wie lange sind Sie in im Beruf gewesen?
25 Jahre waren es bei Regenbogen Wohnen. Insgesamt werden es ca. 47 Jahre sein.
Da haben Sie ja wirklich viel gesehen in Ihrem Berufsleben und erlebt! Wie sind Sie zu dem Beruf gekommen? Warum haben Sie sich dafür entschieden?
Mir war wichtig, in einem sozialen Beruf tätig zu sein. Eigentlich wollte ich in den Entwicklungsdienst. Deshalb bin ich Krankenschwester geworden. Dann merkte ich im Klinikalltag, dass mir die Fließbandarbeit nicht liegt, ich wollte mehr mit den Menschen arbeiten. So habe ich mich, weil ich zu dieser Zeit selbst viel malte, angefangen für Kunsttherapie zu interessieren. Im Studium bin ich während eines Praktikums im Klinikum rechts der Isar zum erstmals mit der Psychiatrie in Kontakt gekommen. Dann führte mich der Weg auf Umwegen zu Regenbogen Wohnen. Dort bin ich in die Betreuung eingestiegen und habe auch kunsttherapeutisch gearbeitet. Parallel bin ich berufsbegleitend Sozialwirtin geworden und im weiteren Verlauf in die Leitung und Geschäftsführung gewechselt. Die Jahre war ich Prokuristin und habe die Abteilung Fachdienst und QM geleitet.
Beachtlich, dass Sie so viele Jahre in dem beruflichen Umfeld durchgehalten haben, ausgehalten, das zehrt ja schon an einem, oder wie haben Sie das empfunden?
Meine Arbeit war zeitweise ziemlich kraftraubend. Das kann man gar nicht anders sagen. Ich habe immer versucht auszugleichen– mit Malen, Tanzen, Theater spielen, in die Berge gehen… und darauf geachtet, dass diese Dinge nicht zu kurz kommen. Das hat mir sehr geholfen und ganz sicher haben auch meine Familie und Freunde sehr dazu beitragen, wenn es mir einmal wirklich arg reinging.
Es gelingt wahrscheinlich nicht immer, die Geschichten, die man so erlebt, nicht mit nach Hause zu nehmen.
Ich bin jemand der gerne reflektiert und gehe, wenn es nötig ist zum Coaching. Auch zu meditieren ist für mich eine gute Methode, um Abstand zu bekommen. Und … manche Dinge muss man einfach durchdenken, man kann sie nicht hinter der Tür lassen.
Ein wichtiger Satz! Ich kann mir vorstellen, dass es gerade für Berufsanfänger eine Erleichterung ist, wenn man hört: „es ist schon okay, auf was ‚rumzukauen‘, man muss nur wissen, wie!“
Ja, einen professionellen Umgang damit kann und muss man lernen. Für mich war es immer gut, jemanden zu haben, mit dem ich reden kann, was mich gerade umtreibt.
Uns ist es bei Regenbogen Wohnen sehr wichtig, dass wir allen Mitarbeitenden die Möglichkeit geben, sich und ihre Arbeit zu reflektieren. Das darf nicht zu kurz kommen und ist uns ein wichtiges Anliegen.
Deswegen ist auch die Akademie mit Sicherheit ein Herzensprojekt für Sie gewesen, oder?
Absolut! Es war gar nicht leicht, speziell die Gesundheitskurse am Anfang voll zu bekommen. Es hat ein bisschen gebraucht, bis die Wichtigkeit gesehen wurde, sich einen Tag Auszeit zu nehmen. Sei es um z.B. Achtsamkeitstraining oder bestimmte Entspannungstechniken kennenzulernen, bewusst in der Natur zu sein, dass man sich die Zeit nimmt und den Raum um sich anders zu erleben und mit diesem Blick auf die Arbeit zu schauen. Das verändert schon vieles! Demnächst möchten wir z.B. das Thema „Humor“ als Ressource neu aufnehmen.
Wann haben sie denn damit begonnen, das einzuführen?
Fortbildungen gab es bei Regenbogen Wohnen schon als ich von 25 Jahren anfing. Aber das Angebot war schlanker. Die Akademie mit den Angeboten, wie es sie jetzt auf der Homepage gibt, haben wir in den letzten Jahren immer weiter ausgebaut. Ich bin tief und fest davon überzeugt, dass ohne ein gewisses Level an kontinuierlichen Fortbildungen und Supervision die Arbeit nicht professionell gemacht werden kann
Als Sie angefangen haben, in dem Bereich, hatten Sie da Ziele, etwas, wo sie sagen, das will ich anpacken, das will ich verändern?
Was mir ganz persönlich wichtig war, dass die fachliche Arbeit, unser Kerngeschäft, mit der Wertschätzung passiert, die wir uns auf die Fahnen schreiben. Es hatte für mich immer oberste Priorität, dass wir unsere Arbeit mit einer Haltung machen, hinter der wir alle stehen können. Als ich bei Regenbogen Wohnen anfing, gab es bereits das heutige Leitbild. Es hat sich nur in Kleinigkeiten verändert und spiegelt sich in den aktuellen Führungsleitlinien wider. Es war mir immer sehr wichtig, dass ich dort wo ich arbeite, die Werte sichtbar gelebt werden. Und das war damals schon so.
Als ich in Haus 23 (im damaligen Bezirkskrankenhaus Haar) anfing, meine erste Station, habe ich schon gesehen, dass Regenbogen Wohnen wirklich für Jedermann die Türen offen hat. Ich habe gelernt, was möglich ist, und das haben wir weiter professionalisiert. Wir haben versucht, die Angebote immer wieder so anzupassen, dass sie den Gegebenheiten entsprechen, die es braucht. 25 Jahre ist … ein langer Bogen. Inzwischen haben sich die Bedarfe der Menschen die wir begleiten, verändert.
Inwiefern?
Es verjüngt sich ganz arg, und diese Menschen sind einfach noch viel zu jung, um in der Gesellschaft keinen Platz zu finden. Abgesehen davon, dass das in jedem Alter wichtig ist.
Früher sollten die Menschen in den Einrichtungen hauptsächlich beheimatet sein, sie sollten sich wohlfühlen und sich wie in einer Familie erleben. Ihre gute „Versorgung“ war wichtig. Dieser Gedanke hat sich verändert. Man geht von Anfang an davon aus, dass sie, wenn es möglich ist, so gut es geht, auf eigenen Beinen stehen und ihren Platz in der Gesellschaft haben. Sie sollen von einer Einrichtung nicht so abhängig werden. Das geht natürlich nicht bei allen. Das Bundesteilhabegesetz stellt die Selbstbestimmung in den Mittelpunkt und ein Netzwerk soll mit unterstützen. Man schaut, gibt es etwas im Umfeld, Familie, Freunde, im sozialen Raum, wie Volkshochschule, Verein, etc., wo sie auch hingehen können.

Gab es in all den Jahren ein oder mehrere Projekte, wo sie sagen, darauf blicke ich wirklich mit Stolz und Freude zurück, das habe ich besonders leidenschaftlich begleitet – neben all den Dingen, die sie sowieso mit viel Leidenschaft begleiten …
Oh, da gibt es vieles, z.B. die Einrichtung in Unterschleißheim mit den speziellen Angeboten. Es war ein sehr dickes Brett zu bohren, sie dort mitten in einem Wohnviertel auf die Beine zu stellen.
Aber auch die Tagesstätte, die neue Angebote in Ruhpolding, die Appartements in Ingolstadt und München … oder die Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe in Neuburg an der Donau. Die sind richtig gut geworden! Sie sind an einem guten Standort, haben wunderbare atmosphärisch schöne Häuser, eines davon steht unter Denkmalschutz, tolle Teams, .. aber die haben wir zum Glück überall. Ich finde, gerade bei Kindern und Jugendlichen ist die familiäre Atmosphäre total wichtig, da hat man schon ein ganz anderes „Reinkommen“.
Dagegen Unterschleißheim – es ist ein sehr großes Haus, wirkt schon fast wie ein Hotel.
Der Immobilienmarkt und die Kostenkalkulation zwingen uns dazu, in so große Gebäude zu gehen. Das ist wirklich ein Zwang und diese Entwicklung finde ich nicht gut!
Wir können für stationäre Einrichtungen nicht mehr wie früher kleine gemütliche Häuser nehmen. Die großen Einheiten, die wir heute anmieten, haben eine andere Atmosphäre. Jeder qm ist genau kalkuliert und nach einer vorgeschriebenen DIN-Norm gebaut, das nimmt viel von der Wohnatmosphäre, die früher z.B. unsere Bauernhöfe oder kleineren Häuser hatten. Uns ist das Milieu, das Wohnumfeld in denen die Menschen ihre Zeit verbringen, sehr wichtig.
Gibt es etwas, was unbedingt noch passieren müsste in Gesellschaft oder Politik, dass die Situation psychisch behinderter Menschen eine bessere wäre, dass man ihnen da bessere Möglichkeiten bieten kann?
Im Bundesteilhabegesetz, bzw. in der UN-Behindertenrechtskonvention ist bereits alles niedergeschrieben, was es zu erstreben gilt.
Wenn es etwas gibt, was die Gesellschaft dringend tun müsste, dann ist es genügend geeigneten Wohnraum zu schaffen. Ein sicheres Zuhause, wo die Menschen sich niederlassen können, wo sie Heimat finden. Wenn es diesen Wohnraum nicht gibt, dann kann man die Arbeit nicht zielführend machen.
Das ist das eine. Und das andere ist, dass es professionelle Mitarbeitende braucht. Man kann feststellen, wenn sich soziale Berufsgruppen schwertun an einem Standort wie München von ihrem Lohn die Miete zu bezahlen, dann werden sie diesen Beruf nicht mehr wählen. Der Fachkräftemangel, den wir auch spüren, hat auch damit zu tun, dass die Bedingungen so schwierig geworden sind. Dazu kommt, dass 2/3 unserer Mitarbeitenden Frauen sind. Wenn sie in die Familienplanung gehen wird’s schwierig für sie, unsere Arbeitszeiten passen oft nicht zu den Kita-Zeiten. Wie soll das gehen? Das betrifft viele Eltern im sozialen Bereich. Wer kann schon mit kleinen Kindern Schichtdienst machen?
Es wird schon sehr viel Flexibilität von den Mitarbeitenden gefordert, aber die Gesellschaft bewegt sich an der Stelle, auch die Politik, finde ich, nicht flexibel genug, um das, was die Mitarbeitenden leisten müssen, zu unterstützen.
Haben Sie konkrete Ideen, wie die Teilhabe noch besser gelingen kann? Sie haben von „einem Platz in der Gesellschaft“ gesprochen – das ist ja ein ganz wichtiger Teil der Mission von Regenbogen Wohnen.
Ich denke da müssen mehrere Kräfte wirken. Das eine ist, dass wir als Professionelle an dem Thema Stigmatisierung arbeiten, gute Öffentlichkeitsarbeit machen, dass wir für Begegnungen sorgen, dass die Gesellschaft mit Menschen mit einer psychischen Behinderung in Berührung kommt. Das man sich kennenlernt, dass man sich ein Bild machen kann voneinander.
Ich wünsche mir, dass es den Gedanken der Inklusion vielleicht gar nicht mehr braucht. Aber das ist ein sehr weit gegriffener Gedanke. Dass Menschen mit einer psychischen Behinderung von der gesamten Gesellschaft getragen werden …. und dass uns das als Gesellschaft auch wichtig ist! Dass es Regenbogen Wohnen nicht mehr braucht, dass wir Menschen mit …… einer Behinderung ,…. ich will nicht mehr von Menschen mit …. , von Randgruppen …. Ach, …ich suche nach einem guten Wort….
… ja, allein bei der Wortfindung muss man aufpassen. Eigentlich wäre es toll, man könnte da ganz normal drüber sprechen, oder?
Wie wäre es, wenn es einfach keine Randgruppen mehr gibt! Die gibt es ja nur, weil große starke Gruppen andere an den Rand drängen. Wie wäre es, wenn es diese Unterscheidung einfach nicht mehr braucht!
Das ist doch eine Vision!

Zum Schluss würde Ihnen jetzt gern noch eine Stimme geben. Einmal an die Berufsanfänger: Gibt es was, was sie denen mit auf den Weg geben wollen?
Neugierig sein! Offen sein! Ausprobieren.
… und über die nötige Selbstfürsorge haben wir ja schon gesprochen.
Gibt es auch was, was sie der Gesellschaft zurufen wollen?
Ich will was Positives sagen! Danke, dass wir uns unsere Arbeit leisten können! Sie kostet richtig viel Geld. Das ist unser aller Geld. Man kann immer noch mehr tun. Aber wir tun auch schon sehr viel, und da sind viele Menschen dran beteiligt, dass das funktioniert. Und dafür glaub ich, kann man sich, so generell, auch mal bedanken!
Was für eine schönes Schlusswort!

Frau Thomaser, haben sie schon eine Idee, wie das jetzt wird? Nach 47 Jahren Engagement und Kümmern und Da sein, und an noch besseren Bedingungen arbeiten – was machen Sie denn jetzt? Können Sie das einfach so stehen lassen und sagen: Ich habe mein Möglichstes getan? Wie fühlt sich das an?
Es fühlt sich sehr gut an, diesen Lebensabschnitt jetzt zu beenden. Ich konnte viel verwirklichen von dem, was mir wichtig war. Ich bin total stolz, was wir gemacht haben und wie das jetzt läuft.
Ich werde (lacht) mein zukünftiges Leben jetzt anders gestalten, indem ich mich jetzt mehr um meine Familie und Freunde kümmere – also einfach mehr Energie wieder dafür habe. Und wenn es mich drängt – wer weiß … aber das muss sich ergeben.
Bestimmt, sowas kommt ja meist zu einem. Ich habe ein gutes Gefühl, dass Ihnen nicht langweilig wird!
Ganz bestimmt nicht (lacht).
Alles Gute!
Danke!

Das Bundesteilhabegesetz

(BTHG) ist ein umfassendes Gesetzespaket, das in vier zeitversetzten Reformstufen bis 2023 in Kraft tritt und das für Menschen mit Behinderungen viele Verbesserungen vorsieht. Mit dem BTHG wurden mehr Möglichkeiten der Teilhabe und mehr Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderungen geschaffen. Menschen mit Behinderungen, die Eingliederungshilfe beziehen, können mehr von ihrem Einkommen und Vermögen behalten.

mehr erfahren >

Führungsleitlinien

Regenbogen Wohnen hat für sich Werte definiert und diese in den Führungsleitlinien niedergeschrieben.

Wohnraum gesucht

Im Zentrum unserer Arbeit steht, Menschen mit psychischer Behinderung in unseren Wohnangeboten einen guten, sicheren Ort zum Leben und Sein zu bieten. Dafür sind wir immer auf der Suche nach geeignetem Wohnraum. Sind Sie Vermieter:in und wollen uns für unsere Arbeit ein Haus vermieten / verkaufen / stiften / vererben? Wir freuen uns über Ihre Kontaktaufnahme!

agsdix-fas fa-info-circle